"Wenn Sie Ihre Change-Vorhaben garantiert zum Scheitern bringen wollen…"(Change-Brief Nr. 77)

Wenn Sie Ihre Change-Vorhaben garantiert zum Scheitern bringen wollen …

Es ist, als hätten einige von Ihnen diese Kolumne bereits vor ihrem Erscheinen schon gelesen und befolgt, denn nur zwölf Prozent der Unternehmen schließen Transformationsprozesse tatsächlich erfolgreich ab. Eine große Mehrheit von 68 Prozent bezeichnet den Abschluss solcher Projekte als mittelmäßig. Die verbleibenden 20 Prozent halten den Change für gescheitert, weil sie weniger als die Hälfte der gesetzten Ziele erreicht haben. Dabei sind nicht die Ideen für Neues oder die Notwendigkeit zur Veränderung der Engpass, sondern die Umsetzung der Veränderungsziele mit den Mitarbeitern (Quelle: Bain & Company (2018): „Soul searching: true transformations start within“. Online: https://www.bain.com/ko/insights/soul-searching-true-transformations-start-within/, Abruf am 13.05.2019.).
Was sind nun die wichtigsten Faktoren, die zu beachten sind, damit der Change mit ziemlicher Sicherheit nicht funktioniert. Wir haben uns zur Beantwortung dieser Frage einmal mit der dunklen Seite des Change befasst und tragen die Ergebnisse hier übersichtlich zusammen.
Ein Plan, Abstimmungen? Das kostet doch nur Zeit
Das Leben ist Veränderung, alles ist im Fluss. Es passiert so viel Unvorhergesehenes, dass man sich die Zeit für Planung auch schenken kann. Fangen Sie einfach an, Sie werden schon sehen, was passiert. Auch die Abstimmung mit den Ihnen vorgesetzten Ebenen kostet nur Zeit, die dort meist für solche Anliegen ohnehin nicht vorhanden ist.  Am meisten lockt das Ungewisse: Wo werden wir wohl hinkommen, genügen die Mittel, welche Hemmnisse und Engpässe werden sich zeigen, wer wird mitmachen wollen, wer nicht? Es wird wirklich spannend!
Stellen Sie sich bloß nicht selbst hinter die Veränderung
Diesen Passus brauchen Sie nur zu lesen, wenn es sich bei Ihnen um eine(n) VertreterIn aus der mittleren Führungsetage handelt oder wenn Sie ansonsten irgendeinen Chef über sich haben.
Kennen Sie das, Sie erhalten einen „Befehl“ oder eine Ansage von oben, unbequeme Dinge durchzusetzen, Abteilungen zusammenzulegen, neue Software einzuführen oder im Zuge von Kostenreduktion Leute zu entlassen. Das Beste ist, Sie übernehmen diese Anordnungen unreflektiert und stellen sich vor die MitarbeiterInnen und sagen Ihnen, dass das alles nicht von Ihnen kommt, sondern „von oben“. Sie würden es ja nicht gerne tun und eigentlich sowieso lieber anders machen, aber Ihnen bleibt keine Wahl. Sie können sicher sein, dass der Respekt vor Ihnen immens steigt und ab jetzt jeder auf Sie baut.
Keine Zeit für Strategie, es gibt Dringlicheres zu tun und agil muss man sein!
Wir leben in so volatilen, unsicheren, komplexen und ambiguen Zeiten, ständig kommen Änderungen ins Haus, neue Sachlagen und Informationen zeigen sich. Da hat man doch gar keine Zeit, eine richtige kurz-, mittel- oder gar langfristige Strategie mit Zielen und Maßnahmen zu formulieren und Ressourcen zu allokieren. Die Mitarbeiter würde man mit einem Big Picture nur verunsichern und ablenken, sie interessieren sich ohnehin nicht dafür und sollen ihre tägliche Arbeit schaffen. Dafür bekommen sie ja schließlich ihr Gehalt. Nur Leistung und schnelles Handeln zählt im Hier und Jetzt, denn agil muss man sein!
Strategien sind Schnee von gestern, dafür sind „Moving Targets“ jetzt angesagt, heute so, morgen so – und was kümmert Sie ihr Geschwätz von gestern?
Machen Sie Gerüchte und fördern Sie den internen Wettbewerb
Wenn Sie Bewegung lieben, dann gehen Sie am besten über den Flur, schauen in ein voll besetztes Arbeitszimmer und raunen „die Abteilung wird wahrscheinlich bald geschlossen“ – und dann gehen Sie weiter.  Gerüchte kann man auch gut über die Arbeitnehmervertretungen oder über sich wichtig fühlende Kollegen oder Mitarbeiter in die Welt setzen. Die Motivation aller sich zu verändern steigt und die Reibung zwischen den Kollegen auch, was manche als „Nestwärme“ interpretieren. Bewährt hat sich auch, einen starken internen Wettbewerb auszurufen. Nur der Beste wird gewinnen und kommt hier weiter. So fördern Sie das „vom wir zum ich“, denn auf starke Persönlichkeiten können Sie bauen.
So bekommen Sie ihren Change, nur steuern lässt er sich nicht mehr so gut, wenn die Gerüchte erst einmal in der Welt sind wie beim Spiel „Stille Post“ und der Wettbewerb entbrannt ist und all das sein Eigenleben entwickelt.
Sie wissen selbst am besten, was für Ihr Unternehmen und die Mitarbeiter gut ist
Wenn Sie schon länger in der Branche oder im Unternehmen Chef sind, macht Ihnen so bald keiner mehr was vor. Sie wissen, wo es lang geht und was das Unternehmen mit seinen Mitarbeitern braucht, auch wenn es Ihnen vielleicht noch nicht gelungen ist, das durch- und umzusetzen. Am besten fragen Sie auch niemanden um Rat oder um seine/ihre Meinung, weder auf Ihrer Kollegenebene, noch bei den verschiedenen Berufsgruppen und auch nicht bei Mitarbeitern verschiedener Hierarchiestufen. Auch aktiv zuhören verschwendet nur Zeit und lässt die Mitarbeiter sich unnötig wichtig fühlen. Das ganze eingebrachte Wissen bringen ja sowieso Sie selbst mit und wirft die anderen vielleicht aus der Bahn, das Fragen verunsichert, weckt falsche Erwartungen und nutzt sowieso nichts, weil Sie es ja wie schon erwähnt besser wissen (müssen).
Ziehen Sie es einfach durch, Widerstand ist zwecklos
Sie haben Ihre Entscheidung getroffen, dann starten Sie unverzüglich los, schießen Sie aus allen Rohren. Die Mitarbeiter werden schon merken, was (endlich) passiert und sich das Richtige dabei denken. Schließlich geht es Ihnen ja nur um das Unternehmen mit besten Absichten. Wer sich Ihnen in den Weg stellt wird einfach überrollt. Sie haben die Macht, sind stärker und fahren sozusagen den „größeren Bagger“ und setzen sich natürlich einfach durch. Oft ist es auch wirksam, jetzt Vorwürfe zu machen, was in der Vergangenheit von den Mitarbeitern alles versäumt wurde, weshalb Ihnen nichts anderes übrigbleibt als jetzt zu handeln. Präsentieren Sie die Fehler wirksam, kritisieren Sie diejenigen, die es verdient haben, am besten vor der ganzen Mannschaft. Notfalls helfen auch unterschwellige Drohungen wie „wenn Sie jetzt nicht mitmachen, dann …“, um Wohlverhalten zu erzeugen. Gehen Sie davon aus, dass Mitarbeiter nur aus Trotz im Widerstand sind und dass dieser an sich sinnfrei ist. Fragen Sie niemals danach, was genau zu diesem widerborstigen und aufmüpfigen Verhalten führt, was ggf. jetzt anders sein müsste, damit man mitziehen könnte oder worum es denn eigentlich im Kern genau geht. Sie müssten für diese Fragerei Zeit aufwenden und sich tatsächlich für die Menschen und für ihre Themen interessieren. Doch das hält nur auf!    
Man kann ja mal einen Workshop machen
Von einem erfolgreichen Führungskollegen haben Sie gehört, dass es wohl manchmal nützlich ist zumindest so zu tun, als würde man die Mitarbeiter beteiligen. Er erzählte Ihnen, dass man dafür Workshops machen könnte. Was für ein Aufwand an Zeit und Geld, vielleicht sogar noch mit externen Moderatoren und ein oder zwei Tage lang, an denen die Mitarbeiter auch noch voll bezahlt werden. Doch „wenn schon denn schon“, es braucht eine gute Location und gutes Essen und eine Bar am Abend, und dann wird es schon gelingen. Vermeiden Sie bitte unbedingt, die Ergebnisse gründlich aufzubereiten und an die Teilnehmer zurück zu melden. In einer auf den Workshop-Ergebnissen aufbauenden Folgeveranstaltung (das Prinzip: Loop auf – Loop zu) konkret zu werden und Entscheidungen gemeinsam zu treffen erhöht den Aufwand nur noch weiter, also lassen Sie es. Je eher dem Workshop keine Taten folgen, je weniger Bereitschaft haben Ihre Mitarbeiter, sich in Workshops einzubringen oder überhaupt zu kommen. Und schon haben Sie erreicht, was Sie eigentlich wollten, nämlich endlich keine Zeit und kein Geld mehr zu verschwenden für Workshops. 
Sorgen Sie stets für Inkonsequenz und Intransparenz und beschließen Sie stets mehr, als Sie umsetzen können
Wenn keiner vom anderen weiß, was er tut und welche Ergebnisse er erzielt, dann blühen die geheimen Gärten der Inkompetenz und des Schlendrians. Der Nebel legt sich schützend über die Mitarbeitenden und auch über Sie als Chef. Wenn Sie Glück haben, läuft es trotzdem ganz gut und die Stimmung ist auch ok – so lange das Geld reicht und keiner nachfragt und den Nebel probiert zu lichten. Das System jedenfalls bleibt stabil und wehrt sich gegen jedes Controlling und jeden Eindringling von außen. Ebenso hilft es, wenn Handlungen und gute oder schlechte Ergebnisse keine Folgen haben. Jeder macht was er will und Sie erfahren es vielleicht gar nicht und brauchen sich weder damit zu belasten noch die Mühe zu machen, steuern zu wollen. Es bleibt harmonisch und nett, solange der Krug zum Brunnen gehen kann.
Doch ein Prinzip ist das fast das Wichtigste: Beschließen Sie in Gremien und Lenkungskreisen mehr, als Sie hinterher umsetzen können. Nach einer Weile hat die Organisation gelernt, dass die Halbwertszeit von Beschlüssen kurz ist und Sie es als Chef nicht wirklich so meinen. Und dann macht auch keiner mehr etwas und es bleibt wie es war.
Erfolge feiern ist Humbug , „Net gschimpft isch globt gnug“
Zu Recht mahnen Sie an, dass Sie in einem Unternehmen arbeiten und nicht in einem Freizeitclub. Feiern kann man zu Hause und am Wochenende und Ergebnisse abzuliefern ist doch selbstverständlich. Wo kämen wir denn hin, wenn man nach größeren oder kleineren gelungenen Vorhaben oder Erfolgen innehält und das Ganze mit geeigneten Mitteln wertschätzt oder immer und überall lobendes und kritisches Feedback gibt – feiern ist ja ein relativer Begriff. Ein Jahresgespräch muss reichen, und Sie haben selbst so viel zu tun, dass dafür sicher jeder im Unternehmen Verständnis hat. Und schließlich: Wer lobt Sie denn für Ihre Heldentaten und Errungenschaften als Chef?
Immerhin haben Sie es geschafft, diesen ganzen Unsinn bis hierhin zu lesen. Manchmal hilft es, die Dinge auf den Kopf zu stellen, um heiter und beschwingt auf die passenden Gedanken zu kommen. In Workshops hat sich das tatsächlich als sogenannte „Kopfstandmethode“ bewährt.  Vielleicht sind Sie ja auch hier und da auf sich selbst und Ihr Verhalten aufmerksam geworden und konnten den einen oder anderen Impuls für Ihr Wachstum als Führungskraft bemerken.  
Bei dem nachfolgenden Umsetzungsprozess wünschen wir Ihnen noch mehr Heiterkeit und vor allem viel Erfolg!
Pia Drauschke und Stefan Drauschke im Mai 2019